Archive der Klima- und Vegetationsgeschichte
Moorböden gehören zu den aussagekräftigsten Archiven der Naturgeschichte. Sie bestehen aus Torf, also aus Pflanzenresten, die sich unter Sauerstoffarmut nur unvollständig zersetzen. Genau dieses „Nicht-Verrotten“ macht sie zu einzigartigen Zeitkapseln: jede Torfschicht bewahrt Informationen darüber, wie nass, wie warm und wie bewachsen eine Landschaft zu einer bestimmten Zeit war.
Warum Moorböden einmalige Klimaarchive sind
Torf wächst in unseren Mooren Jahr für Jahr langsam nach oben, oft nur 0,5 bis 1 Millimeter pro Jahr. Dadurch entsteht ein chronologisch geordnetes Archiv. Die unterschiedlichen Torfschichten verraten, wie feucht oder trocken das Moor in bestimmten Zeiten war. Dicke, gleichmäßig aufgebaute Torfpakete mit gut erkennbaren Pflanzenresten deuten auf eher dauerhaft nasse und kühle Bedingungen hin, während dünnere oder stärker zersetzte Schichten anzeigen, dass das Moor zeitweise trockener war. Auch eingeschlossene Pflanzenreste zeigen, welche Vegetation damals im Moor wuchs – und damit, wie sich Klima und Wasserhaushalt über die Jahrhunderte verändert haben.
Besonders wertvoll für die Klimarekonstruktion ist die Pollenanalyse. Pollen, Sporen und Pflanzenfragmente werden in den Torfschichten nahezu unversehrt konserviert. Die Zusammensetzung dieser Mikrofossilien erlaubt Rückschlüsse auf z.B.:
- Temperaturverlauf,
- Feuchteverhältnisse,
- Waldentwicklung und Waldrückgänge oder
- menschliche Eingriffe in die Landschaft.
Ein Beispiel:
- Ein hoher Anteil an Birke und Kiefer ist typisch für das Spätglazial.
- Das Auftreten von Hasel, Eiche, Linde verweist auf das frühe, wärmere Holozän.
- Die Zunahme von Getreidepollen markiert die menschliche Landnutzung.
Moorböden als Vegetationsarchive
Die im Torf enthaltenen Pflanzenreste erzählen auf ihre Weise die Geschichte einer Landschaft. Im Torf finden sich ganz unterschiedliche Überreste der früheren Vegetation, z.B.:
- Moose (z. B. Sphagnum)
- Seggen
- Holzreste und Rinden
- Samen und Makroreste
Sie zeigen, welche Vegetation unter welchen Standortbedingungen vorkam. Dies ermöglicht:
- Rekonstruktion der lokalen Vegetationsabfolge (von Tundra zu Wald, später Offenlandschaften).
- Identifikation von Eingriffen wie Entwässerung, Brandnutzung oder Rodung.
- Datierung archäologischer Ereignisse.
Moorböden als Archive der Kulturgeschichte und Archäologie
Moorböden sind nicht nur Archive der Klima- und Vegetationsgeschichte, sondern oft auch hochwertige Archive der Kulturgeschichte. Ihre wasserreichen und sauerstoffarmen Bedingungen führen dazu, dass organische Materialien außergewöhnlich gut erhalten bleiben. So können in Mooren Funde überdauern, die anderswo längst vollständig zersetzt wären.
Zu den bedeutendsten kulturgeschichtlichen Zeugnissen zählen z.B.:
- Moorleichen, deren Kleidung, Haare und sogar Mageninhalte Aufschluss über Lebensweise, Ernährung, Krankheiten und Todesumstände früherer Menschen geben.
- Prähistorische Bohlenwege – frühe Verkehrswege, die ganze Landschaften erschlossen und heute detaillierte Informationen über Technik, Holzarten, Transport und Wegestrukturen früherer Kulturen liefern.
- Holzgeräte, Textilien, Körbe oder Saatgutreste, die Rückschlüsse auf Handwerk, Landwirtschaft und Handel zulassen.
- Siedlungsspuren, die durch erhöhten Phosphatgehalt oder Holzkohlepartikel erkennbar werden und historische Nutzungsphasen dokumentieren.
Gefährdung und Schutzbedarf
Moorböden gehören zu den am stärksten gefährdeten Bodentypen. Entwässerung, landwirtschaftliche Nutzung, Torfabbau und bauliche Eingriffe zerstören ihre Torfschichten unwiederbringlich – und damit auch ihre Funktion als Archive der Natur- und Kulturgeschichte. Weil sich Torf nur extrem langsam bildet, gehen mit jeder Störung Jahrtausende an Klima-, Vegetations- und Kulturdaten verloren. Moorböden sind daher nicht nur ökologisch wertvoll, sondern auch wissenschaftlich unersetzlich. Ca. 95 Flächenprozent der Moore in Deutschland sind entwässert und besitzen kein Torfwachstum mehr.

Erdniedermoor, Verlandungsmoor mit Erlenbruchtorf am Rand eines Erdfallsees in Nordrhein-Westfalen. Der Grundwasserspiegel ist auf etwa 30 cm unter Flur abgesenkt. Die Torfschichten oberhalb des ständig vernässten Bereiche sind vererdet und bauen Torf ab. Sie setzen das Treibhausgas Kohlendioxid frei. © Gerhard Milbert, Kuratorium Boden des Jahres
Im Jahr 2012 wurde der Niedermoorboden zum „Boden des Jahres“ gewählt. Diese Auszeichnung sollte auf seine ökologische und kulturhistorische Bedeutung ebenso aufmerksam machen wie auf die Dringlichkeit seines Schutzes. Intakte Niedermoore sind heute selten, spielen jedoch eine zentrale Rolle für den Wasserhaushalt, den Klimaschutz und die Bewahrung einzigartiger Bodenarchive.
Der Schutz erfordert daher vor allem: Wiedervernässung, Vermeidung weiterer Entwässerung, Unterbindung von Torfabbau und eine behutsame Nutzung, damit die wertvollen Archivfunktionen dieser Moorböden erhalten bleiben.
